Fliessendes Sehen


 

von Roland Scotti

Katharina Büche – Malerin, Fotokünstlerin, Plastikerin und Objektkünstlerin – befragt in verschiedenen Werkreihen Formen, aber vor allem Bedeutungen auf lustvolle, farbenfrohe und sanft ironische Art und Weise. Seit vielen Jahren nutzt sie unter anderem natürliche, von der Natur gegebene Werkstoffe wie beispielsweise Tierfelle oder Pflanzen.

Mit diesen Materialien, die in der Kunstgeschichte traditionell eine wichtige Rolle einnehmen – sei es als Lieferant von Mal- und Schreibgründen wie dem Pergament oder als Bestandteil der Farben, formuliert sie einen differenzierten Blick auf Kunst und Natur. Büche reflektiert beides: Die Kunst, die alles in ein Bild oder in ein Objekt verwandelt – und damit die Welt im Positiven wie im Negativen verfügbar macht; die Natur, die nur scheinbar selbstverständlich ist – zumindest für die menschliche Wahrnehmung. Das anthropozentrische Bewusstsein von nicht-menschlichen Dingen oder Ereignissen bildet in gewisser Weise die Folie, auf der die Arbeiten von Katharina Büche ihren Ort finden.

Im Grunde interessiert sich Büche aber kaum für die in unserem Kulturkreis behauptete Dichotomie zwischen Kunst und Natur, ganz sicher nicht für den hierarchischen Unterschied, die Reihenfolge, die je nach Standpunkt Natur als oberste Instanz oder Kunst als Krone setzt. Vielleicht resultiert daher die Mehrdeutigkeit, die den Arbeiten der Künstlerin eigen ist – auf die sie auch bewusst zielt.

Büche treibt ein semiologisches Spiel – durchaus orientiert an Gertrude Steins berühmten Diktum „Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“ (1913); in eine weniger verspielte Sprache übersetzt: Eine Frau ist eine Rose ist eine Blume ist ein Name. Man kann darüber nachdenken – muss aber nicht. Nur heute wird es immer schwieriger, sich zwischen Ding und Begriff, zwischen Augentäuschung und Wirklichkeitserscheinung zu entscheiden. Jegliche Wahrheit hat sich in den fiktiven Räumen der Vorurteile, der Ideologien, der virtuellen Welten verflüssigt – nicht unbedingt verflüchtigt, dafür in Myriaden von Subjektivismen aufgesplittert.

Die Künstlerin hingegen versucht eine Reduktion, die keine Reduzierung von Realität ist. Sie beginnt dort, wo die Kunst der Neuzeit ansetzte: an der gleichzeitigen ästhetischen Betrachtung und wissenschaftlichen Erforschung der Natur, die bei Katharina Büche nie als das Gegenüber, sondern als das Eigentliche des Menschen auftritt. Natur erscheint nicht, sie – die Natur, die auch Kunst ist – inszeniert sich in den Arbeiten fast selbsttätig. Büche stellt „Natur“ nicht nach; mit den Mitteln und Materialien der Natur thematisiert sie kulturell bedingte Codifzierungsprozesse: von der Tabuisierung bis zur Ästhetisierung.
 


 
Die jüngste Werkreihe der Künstlerin, Pflanzencollagen, wirken einfach – sind aber konstruierte, hochkomplexe Gebilde – und nur dadurch können sie auf unsere Sinne einfach wirken. Auf meist einfarbigem Grund liegen farbige, mehr oder weniger klar begrenzte Formen, die uns je nach Anordnung als strenge Muster, beschwingte Choreographien oder fliegende Architekturen erscheinen mögen; oder auch als Miniaturmalereien, flache Reliefs und kosmische Improvisationen – mithin als Malerei ohne Pinsel. Tatsächlich sind es getrocknete Blüten, manchmal auch vollständige gepresste Pflanzen. In gewisser Weise betrachten wir Blumenstillleben, die sich nicht mehr still verhalten: Es gibt Erotik, Gewalt, Traum, Kampf und – vor allem – Leichtigkeit.

Büche gibt uns nicht vor, was wir im Sehen erfahren können; sie will das Sichtbare auch nicht verfremden, enteignen. Eher verweist sie mit der Ursprünglichkeit ihres Verfahrens, das die wissenschaftliche Pflanzenpresse mit „Oshibana“ kombiniert, auf unbewusste Mechanismen einer Welterkenntnis, die ganzheitlich vorgeht, die „Natur und Kunst“ umfasst. Eine Vorläuferin im behutsamen und dennoch sehr ästhetischen Umgang mit „Natur“ ist eine der ersten Fotografinnen, Anna Atkins (1799/1871), Botanikerin, Künstlerin, Schriftstellerin. Deren legendäres Werk, Cyanotypes of British and Foreign Flowering Plants and Ferns (1854), kann tatsächlich als eine “Blaupause” für die Collagen von Katharina Büche gesehen werden. Hier wie dort werden die fremde Schönheit der Natur wie auch die Präzision einer künstlerischen Methodik in Szene gesetzt, gleichwertig zum Sprechen, besser zum Leuchten, gebracht. Auf selbstverständliche Art erkennen wir Natur- und Kunstgeschichte.

Roland Scotti, Kurator, Kunstmuseum Appenzell, November 2014

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