Von Wolfgang Henze
Katharina Büche malt, z.B. Farbreliefs, gestaltet Performances, z.B. Verbrennungen, die sie fotografiert, sie äussert sich in vielerlei Methoden zu vielerlei General-Themen, wie das unsere heutige Zeit des globalen „Alles Jetzt“ (Lischka) zu fordern scheint. Bevorzugt arbeitet sie jedoch in der Technik der Assemblage, mit dem Material des Felles und zum Thema Tier.
Eine Vorform von Verselbständigung des Materials in der Kunst ist die ungefasst stehen bleibende Oberfläche in der Stein-, Bronze- oder Holzplastik seit der Renaissance. Die Verselbständigung des Materials in der Kunst von der mimetischen Funktion zur völligen Eigenwertigkeit konnte erst in der Abstraktion ab 1910 geschehen. Vor allem der grosse Experimentator Paul Klee schuf in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Voraussetzung für die Farbreliefs der Malerei der 50er Jahre. Die Surrealisten führten andererseits die Gegenstände zur Autonomie im Kunstwerk, in welchem sie ihre Bedeutung radikal ändern konnten, wichtige Voraussetzung für die Arbeit der Nouveau Rèalistes für die neue Figuration nach der Abstraktion der 50er Jahre. Das von Katharina Büche bevorzugt genutzte Material Fell ist beides: Zum einen ist er Werkstoff von autonomer Wirkung durch seine besonderen Eigenschaften, zum anderen ist er auch durch Assoziation immer Tier in vielfachem Bedeutungswandel.
Der Mensch ist keineswegs der erste Fleischfresser der Evolution. Er war es wohl bereits, als sich ihm höhere Formen der Reflexion ermöglichten. Unter den ungeniessbaren Teilen der erlegten Tiere blieben die Knochen und das Fell länger erhalten. Das Fell mag wohl auch in wärmeren Gegenden zunächst die Schlafstelle aus Laub weich abgedeckt haben. Als der Mensch in kältere Gegenden zog, diente es bald als wärmende Kleidung. Das Fell ist neben Holz, Stein und Knochen das älteste vom Menschen genutzte und gestaltete Material überhaupt, blieb es durch Jahrzehntausende, bis es vom gewebten Stoff abgelöst wurde und sich auf die Aufgabe weniger besonders wärmender und besonders schmückender Kleidungsstücke zurückzog. Da die Mode die Felle bestimmter Tiere, welche gar nicht für die Ernährung benötigt wurden, bevorzugte, kam es zu Missbrauch. Katharina Büche verwendet ausschliesslich nicht durch Missbrauch gewonnene Tierfelle.

Es äugt, es lugt, es blinzelt aus Tiefen Reusen-artiger Gebilde, die einmal Lampen der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren. Tiergebein ragt aus wahrhaftigen Reusen, gespiegelt, verdoppelt jeweils ohne Oberkörper. Fell gestaltet sich zu Lippen eines grossen Mundes, als hätte Meret Oppenheim die wie ein Ufo über der Landschaft schwebenden roten Lippen Man Rays in „A l`heure de l`observatoire – Les Amoureux“ mit Fell überzogen. (Bitte, bitte verstehen Sie mich nicht allzu schnell.) Fellkaskaden fliessen aus einer Pandora-Büchse in Gestalt eines Lampenschirmes. Künstliche Tierköpfe ohne Mund, Augen oder Nase, jedoch mit grossen Ohren küssen sich. Rotorange Pilzköpfe auf gläsernen Nierentisch-Lampenschirmen umgarnen einander.. Ein Fellwulst entwickelt sich grünlich wie eine wabernde Unterwasserpflanze. Eine riesige Fellhand, als sei die berühmte Hand Le Corbusiers bepelzt worden, trägt flaumig weich einen schwarzen Vogel, ob schützend oder bedrohend, ist unklar. Ebenso unklar ist die Situation des Eichhörnchens, für einmal gänzlich ausgestopftes Tier, das von zwei roten Gummihandschuhen getragen oder gefangen wird. Ein einbeiniger „Wächter“ erscheint wie ein strangulierter Bär oder ist der Wächter nur mit Bärenfell bekleidet? Um die Ecke schaut ein Plastik-Hasenkopf in Orange mit ganzem Fellkörper oder nur Haut? Eine steile weisse Fellpyramide steht einfach in der Landschaft, macht den Gipfeln der Alpen formal Konkurrenz.
Das Alles atmet. Man wartet auf Bewegung. Fell lebt. Material und Bedeutung verwickeln sich in ständig wechselnde Ambivalenzen. „Mutter und Kind“ in Skunk-Fellen wachsen als Phantasiegeschöpfe aus ein- und demselben Körper. Wohingegen der „Marienkäfer“ eine übergrosse Nachempfindung desselben in Fell ist, mit grossen uns anstarrenden Augen. „Das Maskottchen“ schaut mich treu über den Schreibtisch an – oder verbirgt sich dahinter; vielleicht doch Kubin-hafte Unheimlichkeit? Was verbirgt sich hinter dem Titel „Komm zu mir!“ für die den Vogel haltende Riesenfellhand? Ist der Titel, welche die Künstlerin dieser Ausstellung gab, „Früher Vogel“ nicht dem Satz entnommen :“Früher Vogel frisst die Katz“? Was so lieblich und schön, so flauschig weich daher kommt, es ist alles bedroht und bedrohlich zugleich. Versteckte nicht schon die legendäre „Spinne“ Ursula in den 60er Jahren in ihren flauschigen Fell-Assemblagen Reisszwecken und Rasierklingen. Wehe dem, der die Schönheit stört oder gar ergreifen und sein Eigen nennen will!
Büche gestaltet in einem archaischen Material von langer und bedeutender Geschichte und unterschiedlichstem Wert von einfachem Fell und Leder für Schuhwerk bis zum Hermelin der Kaiser und Könige. Jedoch, schon dieses Material ist nicht nur in Qualität und Wert, es ist auch in seiner Funktion und Bedeutung ambivalent. Es ist Fell und doch auch Haut, durch Behaarung geschützte Haut. Es hält den Körper zusammen und wehrt das Aussen ab. Es ist zugleich nach beiden Seiten durchlässig und undurchlässig. Es ist zäh und hart als Leder und weich und fragil als Haar. Es ist Haut, die verletzlich ist und Verletzungen anzeigt, noch nach Jahren in Narben. Haut ist auch Sensorium, das grösste Organ der Tiere und Menschen, unverzichtbar und auch heute noch nur in Teilen ersetzbar, nach innen bestimmend und nach aussen bezeichnend.
Die Urknall-artige Explosion der Kunst nach 1968 führte zu Myriaden aueinanderdriftender Galaxien unterschiedlichster Aufgaben, Möglichkeiten, Stile und Techniken, zu einer neuen „grossen Unüberschaubarkeit“, wie wir sie zuletzt nach 1870 hatten, als alles gleichzeitig nebeneinander möglich war. Gewisse Bereiche der Gegenwartskunst hypertrophieren in Bezug auf Anspruch, Raumbedarf und Bewertung. Künstlerische Qualität definiert sich in diesen Bereichen mehr durch Übereinstimmung und durch schlichte Ausgrenzung alles Anderen und vor allem des zuvor Geschaffenen denn durch nachvollziehbare Kriterien. Vieles in diesen Bereichen ist mit einfachsten Kniffen wie blow up, Reihung oder zufälliger Technik aufbereitetes déjà-vu. Das darf aber so nicht kommuniziert werden : Alles ist neu und Gegenwart. Auch Museen wie das Moma hatten keine Vorfahren und auch Singapur muss sein Guggenheim-Museum haben mit einer dreissig Meter hohen Figur von Jeff Koons in der Eingangshalle. Dessen Thematisierung des Kitsches soll dort sein grösstes Denkmal erhalten und bleibt vielleicht doch eben solcher, oder?
Wie und wo positioniert Büche, positionieren wir ihre Kunst? Welche Visionen, welche Obsessionen lassen sie diese Objekte schaffen? Sie nutzt das objet trouvè in Form von Teilen der Nieren-Tisch-Einrichtung, welche sie in ihrer frühesten Jugend noch kennenlernte. Auch das Tierfell ist ein objet trouvè, aber Büche verändert, bearbeitet es. Tiererlebnisse, ebenfalls in frühester Jugend, mögen Anlass für die Wahl dieses Materials gewesen sein, Ursache aber wohl eher die Besonderheit des Werkstoffes aus Haut und Haar. Seine Eigenschaft als Grenze von Aussen und Innen, seine Ausgesetztheit, wenn nackt, seine Verletzlichkeit, wenn angegriffen. Alle Kunst ist- überspitzt formuliert – Selbstportrait. Künstler haben selbst in Portraits anderer immer auch sich selbst gesehen. Wen meint Büche mit „früher Vogel“?
Wolfgang Henze, August 2005
von Roland Scotti, Kurator des Kunstmuseums Appenzell, November 2014
Giraffenspucke, Katzenchips & Nerzpfötchen
von René Ammann