Giraffenspucke, Katzenchips & Nerzpfötchen


 

Zu den Arbeiten von Katharina Büche

von René Ammann

Tiere, ob schnurrend, schleichend oder zerhackt, lassen niemanden kalt. Wir kommen nicht umhin, emotionale Verstörung und Parteilichkeit gegenüber unseren genetischen Nachbarn festzustellen. Die Spanne ist so umfassend wie die menschliche Gefühlspalette, sie reicht von Vergötterung, Verführung und Laszivität bis zu Schuldgefühlen – von Ekel, Verstörung und Panik bis hin zur Mordlust.

„Ach Brüderchen, ich bitte dich, trink nicht, sonst wirst du ein Reh und läufst mir fort“, fleht die Schwester. Umsonst. Der Junge kniet zur verzauberten Quelle, und wie die ersten Tropfen auf seine Lippen treffen, verwandelt er sich in ein Reh.

(Aus Gebrüder Grimms „Brüderlein und Schwesterlein“)

Ob Tafelbild mit Fasan, Venus im Pelz, ein Hummer-Telefon oder den Frühstückskaffee aus der Pelztasse: KünstlerInnen, die mit Zeichen aus der Fauna arbeiten, sind sich bewusst, dass sie Vakuolen der Mythologie anstechen und/oder Fragen zu unserer Irrationalität subkutan einspritzen. Der Einbezug von Tieren oder ihrer Überreste gibt vielen Arbeiten jenen emotionalen Kick, die Botschaft, die unmittelbarer wirkt als ein schlichtes weisses Quadrat.

Drei Furien

Im Moderna Museet in Stockolm war ich zufällig Zeuge eines erst wüsten, dann geradezu ordinären Ausbruches von zwei Besuchern. Der Anlass? Zwei Labradorhunde, die friedlich aneinandergekuschelt beim Eingang lagen. Zu friedlich. Die beiden waren ausgestopft. In Münster, an der Skulpturenausstellung, schauderte es dem Publikum vor einem Brunnen. Zuunterst zwei Schlangen. Lebend. Und ein Gänseei. Ebenfalls in Münster: Der Künstler schickte einen Brief. Die Marke war mit (echter, mit einer Leiter besorgter) Giraffenspucke aufgepappt worden. In Zürich, in einer Galerie: Eine schwarze Leinwand. Beim Nähertreten erfasste man: Das schimmernde Schwarz stammte von zig-Tausenden von Schmeissfliegen, die zentimeterdick aufgeschichtet waren. In Zürich, neben schlappen Lavabos und knallroten Sofas in Lippenform: kuschelige Pelzkugeln. Die Pelzkugeln schnauften wie kleine Hamster, manche langsamer, manche schneller. An der Biennale in Venedig stolzierte ein lebender Pfau mit Harnisch und Leine und Begleiter durch die Garten, was nicht bei allen Betrachtern Entzücken auslöste.

In Davos, in einem ausgedienten Kindersanatorium, eine Riesenbeige von alten Matratzen. Fleckige Dinger voller Angstschweiss und Pubertät und Träumen von Prinzessinnen, die so delikat sind, dass eine Erbse ihren Schlaf stören kann. Im Gewühl der Bettdecken, ganz zuoberst: schnurrende Pelzknäuel und ab und zu eine Pfote oder ein Schwanz, der aus den Federn ragte. Letztere Installation war der Beitrag von Katharina Büche zur Ausstellung „Viral Rooms“ im „Albula“ in Davos. Die Künstlerin arbeitet häufig mit Pelzen. Da ragen Pfötchen aus dem Kissen, das sie auf Stühle zum Sitzen bereitstellt, dort lugt ein kleiner Nerzkopf aus der geflochtenen Lampe oder ist festgezurrt wie eine Barbie-Puppe in der Pappschachtel – oder es steckt ein ordentliches Stück Katzenfell in der Plastikverpackung „Cat Chips“, die „viel tierisches Eiweiss“ enthalten sollen, damit die Katze schnurrt und der Aktionär gedeiht.

Ich sehe in Büches Arbeiten weniger die grundsätzliche Kritik am Einbezug von Tierischem in den industriellen Prozess. Sie ist keine Veganerin und meines Wissens auch keine hardcore-Tierschützerin, die Nerzgehege gewaltsam öffnen würde. Auch sehe ich keine Kritik an der Deklaration, wenn „viel tierisches Eiweiss“ drin ist und man sich berechtigterweise fragen könnte, was denn für welches, ob also Katzen letztlich Katzen fressen wie Schweine Schweine. Dass in der Natur Tiere andere Tiere fressen, das wäre sowieso nicht zu verhindern und demnach keine Diskussion wert.

Die Künstlerin feiert die Laszivität des Stoffes Pelz nicht ab. Sie ergänzt die politischen Debatte um „Pelztragen ist Gewissensfrage“ weder um Zuspruch noch durch Ablehnung. Pelz ist bei Büche schlicht Material, eins von mehreren. Und der von ihr benutzte Pelz ist nicht einmal besonders schön verarbeitet. Die Augen der ausgestopften Tiere eher hilflos. Die Nähte häufig sichtbar. Zudem kombiniert sie Edles mit Profanem. In einer vorgestanzten Plastikhülle verliert auch der süsseste Waschbär seinen Kuschelreiz, und starrt uns aus einem Turm aus blauen Penne-Schachteln plötzlich ein Tierauge durch den Cellophan an, so können wir uns einen Japser kaum verkneifen.

Bei Katharina Büche erkenne ich den narrativen Einsatz der Mittel im Vordergrund und die ästhetische Komponente von Tod, der eine gewisse Schönheit der erst ermöglicht. Wir ziehen einem Tier die Haut ab, um uns zu kleiden, tragen Schuhe aus Kalbsleder und Hüte aus dem Fell von Bisamratten. (Nur in Filmschockern wie „Das Schweigen der Lämmer“ sind es für einmal Menschen, die als Stofflieferanten herhalten müssen.) Wenn Büche Pelz einsetzt, um den Verlust an Nähe zu dokumentieren (wie in ihrer Davoser Installation, wo Einsamkeit sichtbar, hörbar und riechbar war), so gilt derselbe Blick, den Eltern auf ihr Kind werfen, nachdem sie es mit einem Märchen in den Schlaf gelesen haben. Es ist ein liebevoller Blick auf das allein gelassene Kind – und ein Blick ins eigene, ebenso allein gelassene Ich, das nach dem gemeinsamen Erlebnis Halt sucht und möglicherweise dem Hund die Ohren krault, um sich beider Existenzen zu versichern. – „Ich bin, weil mein Hund mich erkennt“, sagte Gertrude Stein, scharfsinnig wie immer.

Es ist selbstverständlich von der Künstlerin so kalkuliert und erhofft, dass wir uns über das emotional wirksame Material Pelz hinwegsetzen und in unserer eigenen Erinnerung nachforschen. Der Weg dorthin führt durch Wälder mit Lebkuchenhäuschen drin, an zertretenen Ameisen und hinterlistigen Hexen vorbei, blöden Zwergen, totgeschlagenen Fliegen, schlagfertigen Schneiderlein, baumelnden Pudelköpfen und langhaarigen Turmfräuleins. Und an gütigen Königen, die ein Reh jagen, aber dann an irgendeine verfallene Hütte ohne Wasseranschluss klopfen und die ungebildete Maid, die darin kauert, mit aufs Schloss zerren, um sie zu befreien.

René Ammann schreibt für Medien wie die „Zeit“, „Kunst-Bulletin“ und „Brand Eins“.
 
Fliessendes Sehen
 
von Roland Scotti, Kurator des Kunstmuseums Appenzell, November 2014
 
Früher Vogel

von Wolfgang Henze, 2005